Insights eines Agile Coach

Insights eines Agile Coach

Daniel ist Agile Coach- und Transformation Lead bei Vattenfall in Hamburg. Gleichzeitig hat er sich nebenberuflich selbstständig gemacht und arbeitet als systemischer Coach und agiler Organisationsentwickler unter anderem für die New Work Squad, um kleine und mittelgroße Unternehmen bei ihrer Veränderung hin zu agilen Prozessen und Strukturen zu unterstützen.

“Wie war dein Weg hin zum Agile Coach?”

Nach der Schule wollte ich erstmal raus, auf eigenen Beinen stehen, mein eigenes Geld
verdienen und habe bei der Deutschen Telekom eine Ausbildung im IT Bereich gemacht – zu
einer wahnsinnig spannenden Phase der Digitalisierung: Dem Zugang zum Breitbandinternet.
Aber mein ursprüngliches Ziel war es eigentlich Journalist zu werden: Menschen und
komplexe Zusammenhänge analysieren, verstehen und so wiedergeben, dass auch meine Oma
sie versteht. Später, nach meinem Studium habe ich dann bei Beiersdorf meine
Bachelorarbeit über die Reorganisation der Unternehmenskommunikation geschrieben – weg von
klassischen Strukturen und Hierarchien hin zu einer „kundenzentrierten“, im Kern agilen
Ausrichtung. Das fand ich hochspannend, habe da aber noch nicht realisiert, dass hier
möglicherweise meine berufliche Zukunft liegt. Dann habe ich mich eine Weile mit
„Influencer Marketing“ beschäftigt, also mit YouTubern und Bloggern.

Bei Dräger habe ich dann als „Quasi-Product Owner“einen  globalen Website Relaunch begleitet. Hier bin ich zum ersten Mal so richtig mit Scrum, der agilen Arbeit in cross-funktionalen Teams und durch meinen damaligen Chef vor allem auch mit agiler Führung in Kontakt gekommen. Das war ein Schlüsselmoment und ich habe realisiert, dass darin meine eigentliche Stärke und Leidenschaft liegt.

Ich habe dann eine Scrum Master Zertifizierung gemacht und in unseremMarketing- & Sales Team experimentiert was Scrum in einem nicht-IT Umfeld bedeutet. Parallel dazu habe ich eine Ausbildung zum systemischen Coach absolviert, was dann in Kombination für mich mein berufliches Zuhause definiert hat. Mein beruflicher Weg ist also auch im Prinzip ein iterativer Prozess mit regelmäßigen Anpassungen und Veränderungen.

“Was hat Dich dazu gebracht Agile Coach (bei Vattenfall) zu werden?”

Scrum und Agilität stoßen schnell an die Grenzen des Möglichen, wenn das Mindset und der Leidensdruck in der Organisation fehlen. Um agil zu werden braucht es eine entsprechende Haltung und ein klares Commitment: “Ja, wir wollen unseren Leuten mehr Verantwortung übergeben und unsere schönen Matrix-Kästen zum Wohle des Projekterfolgs respektvoll ignorieren”. Dieses hatten wir in unserem Marketing-Team zweifellos aber um uns herum wurde noch fleißig an Gantt-Charts und Abteilungserfolgen gefeilt. 

Ich bin dann meiner Intuition und der Empfehlung eines guten Freundes gefolgt und als Agile Coach bei Vattenfall gestartet. Hier steckt nicht nur das ganze Unternehmen in einer mutigen und wichtigen Veränderung hin zu einem Unternehmen was sich ausschließlich auf die Produktion von fossilfreien und erneuerbaren Energien konzentriert, sondern auch in unserem Bereich hat das Top-Management entschieden den mutigen Schritt Richtung Agilität zu gehen. Dieses Commitment war für mich das entscheidende Signal den Job anzunehmen: denn die agile Transformation wird als ernstzunehmende, unausweichliche Reise und nicht als Einführungsprojekt eines Kanban Boards in Jira verstanden.

“Was gefällt dir gut an dem Job? “

Die Freiheit und das Vertrauen was mir entgegengebracht wird, Dinge anzustoßen, auszuprobieren und verändern zu können. Ich arbeite mit vielen Teams, die sehr international, zum Teil schon lange und dauerhaft remote arbeiten und unterschiedliche Reifegrade an Agilität haben. Dazu treibe ich die agile Transformation auf organisatorischer, struktureller Basis voran. Das macht die Arbeit sehr abwechslungsreich und ich habe eine konstant hohe Lernkurve.

Ich stehe montags auf und freue mich auf den Arbeitstag! Das so etwas möglich ist habe ich viele Jahre für einen Mythos gehalten. Heute weiß ich, dass die Kombination aus einem hohen Grad an Autonomie, der Möglichkeit des ständigen Dazulernens sowie dem Gefühl eine Wirksamkeit zu erzeugen, eine große Rolle spielt. Ich kann meine Stärken mit meinem Interesse verbinden und das jeden Tag.

“Was macht dir am meisten Spaß?”

Dass ich immer den Menschen in den Mittelpunkt meiner Arbeit stellen muss: Jeder Einzelne hat individuelle Bedürfnisse, Motivationen, Erfahrungen und Absichten die er/sie jeden Tag mit zur Arbeit bringt. Aus diesen unterschiedlichen einzelnen Mitspielern ein leistungsstarkes Team zu formen und aufrecht zu halten ist eine wahnsinnig erfüllende, spannende Aufgabe. 

“Die größte Herausforderung, die du bewältigt hast?”

Die größte Herausforderung ist gleichermaßen auch die, die jeden Agile Coach am meisten beschäftigt: Lang gedienten Führungskräften und Managern ein neues Führungsverständnis nahezubringen welches mehr „loslassen“, weniger Kontrolle und somit weniger Micromanagement bedeutet. Gleichermaßen, Mitarbeitern auf dem Weg in die „neue Freiheit“ zu unterstützen. Die meisten freuen sich über mehr Eigenverantwortung und den direkten Draht zum Kunden und den Fachfunktionen – dieses direkte Feedback kann unglaubliche Energien freisetzen. Manche finden das alte Verständnis von klar definierten, abgesteckten Aufgaben mit eindeutigen Erwartungen aber auch ganz gut, es gibt ja Sicherheit. Beide Dimensionen zu betrachten ist entscheidend bei der agilen Transformation aber auch eine große Herausforderung.

“Was ist für dich wichtig in agilen Teams?”

Manche “Starspieler”, die technisch unglaublich stark sind und dafür auch geschätzt werden sind nicht automatisch gute Teamplayer. Erfolgreiche Ergebnisse, gerade in der komplexen Welt der Digitalisierung entstehen aber gerade in interdisziplinären Teams, die Erfolge und Niederlagen gemeinsam durchleben. Es geht um das Kollektiv und konsensorientierte Entscheidungen. Mitarbeiter, die sich nicht in die Gunst der Mannschaft stellen wollen sind eben keine guten Mitspieler und für manche Agilen Teams somit nicht geeignet. Dann müssen technische Lücken eben durch gutes Teamplay kompensiert werden. Das verstehen nicht sofort alle aber langfristig zahlen sich solche unangenehmen Entscheidungen aus.  

“Was verwundert dich häufig bei anderen Menschen?”

Mich verwundert, wie viele Menschen sich durch kurzfristige Incentivierungen zu Entscheidungen verleiten lassen, die ihren Werten und Überzeugungen völlig konträr gegenüber stehen. Zu wenige Menschen haben Geduld, um sich auf ihre langfristigen Ziele zu konzentrieren und lassen sich stattdessen von kurzen Belohnungen verleiten. Das beobachte ich bei Teams aber auch im privaten Umfeld. 

“Was ist ein must have, um Agile Coach zu werden?”

Als Agile Coach arbeitet man in der Regel mit vielen unterschiedlichen agilen Teams, Scrum Mastern, OKR Mastern und Product Ownern. Da ist eine gewisse Erfahrung schon hilfreich, um mit den unterschiedlichen “Reifegraden” umzugehen und zu merken wann welches Team noch etwas mehr Basis-Lehre z.B. der Scrum-Regeln oder mehr Coaching für Selbstorganisation braucht. Es ist daher sehr hilfreich mal über einen längeren Zeitraum mit 1-2 Teams z.B. als Scrum Master oder Product Owner gearbeitet zu haben. Eine systemische Coachingausbildung vermittelt hier die richtige Haltung und hat mir sehr hilfreiches Handwerkzeug wie z.B. Gesprächsführung und die Systemtheorie nahe gebracht. Darüber hinaus hilft eine ordentliche Portion Empathie, Geduld und Intuition. 

“Gibt es für dich einen Unterschied zwischen einem Coach und einem agile Coach? Wenn ja, welcher?”

Sofern du mit „Coach“ eine/n zertifizierte/n systemischen Coach meinst, ja. Die Haltung des Konstruktivismus, auf welchem das systemische Coaching basiert, hat sehr viele Überschneidungen mit den agilen Prinzipien. Als agiler Coach zählen allerdings auch das Methodenwissen und die Erfahrung in der Anwendung von Kanban, Scrum, OKR und auch skalierten Frameworks wie z.B. SAFe. Auch hier kann man ganz gut an die Sport-Analogie anknüpfen: Die Haltung wie man einzelne Spieler zu Höchstleistungen in einem Mannschaftskontext entwickelt ist unabhängig von der Sportart. Da kommen die Coaching-Skills ins Spiel, sowie ein grundlegendes Verständnis von Motivation und der menschlichen Psychologie. Als erfolgreicher Fußball Coach sollte ich natürlich schon die Regeln und den Sport verstehen.

“Was ist wichtiger aus deiner Sicht: Theorie oder Praxis?”

Aus meiner Sicht gewinnt immer die Praxis: Dinge ausprobieren, Erfahrungen sammeln und den Weg anpassen bis man das gewünschte Ziel erreichtIn Bezug auf Agilität hilft die Theorie aber auch, umwichtige Leitlinien und Prinzipien zu verstehen und zu vermittelnIch bin aber auch nicht überzeugt davon, den Scrum Guide dogmatisch auf jedes Team und jede Unternehmensform zu pressen. Solange die wesentlichen Säulen der Agilität: 1. Eine konsequente, strukturelle Ausrichtung auf den Kundenerfolg, 2. selbstorganisierte, interdisziplinäre Teams und 3. die Arbeit in iterativen Zyklen mit abschließenden Feedback Loops erfolgen, können auch nur Elemente des Scrum Frameworks sinnvoll und wertstifend zum Einsatz kommen. Aber diese sollte muss man schon aus der Theorie kennen.

“Hast Du Vorbilder ?”

Grundsätzlich gibt es viele Menschen deren Haltungen und Arbeit mich inspirieren: Dazu zählen Simon Sinek mit seinem Prinzip des “Finde dein Warum”, Tony Robbins der durch seine Coaching Methode Millionen von Menschen zu mehr Zufriedenheit verhilft aber auch Mike Cohn, einer der aus meiner Sicht international erfahrensten und besten Agile Coaches.

“Hast du eine Buchempfehlung?”

“Coaching Agile Teams” von Lyssa Adkins. Es ist schon ein paar Jahre alt aber dieses Buch enthält so ziemlich alles was man als Agile Coach wissen sollte und bietet unglaublich hilfreiche Methoden, Modelle und Werkzeuge. Und es hat einen starken Bezug zur Praxis. Es ist allerdings nur auf Englisch erhältlich. Darüber hinaus “Die 5 Dysfunktionen eines Teams” von Patrick Lencioni – sehr unterhaltsam, da als fiktiver Roman geschrieben aber gleichermaßen informativ wenn es um Führung und Teamdynamiken geht. Hierzu empfehlen wir euch auch diesen Artikel. Und als sehr gutes Buch aus der systemischen Coaching-Abteilung: “Beratung ohne Ratschlag” von Sonja Raddatz.  

Fazit:

Für uns klingt das so, als wäre Daniel im Moment ziemlich dicht an seinem “Traumjob”, wobei der Weg dorthin eher ungeplant war und sich ganz agil entwickelt hat.

 

 

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Silke Schönwälder

Silke Schönwälder kennt die Herausforderungen traditioneller Unternehmen, schließlich war sie selbst 15 Jahre Führungskraft in einem internationalen Konzern. Das macht die studierte Diplom-Kauffrau zu einer sehr praxis- und kundenorientierten Expertin in puncto Veränderung, Kommunikation und Führung. Die Expertin für Coaching hat die besondere Fähigkeit, Menschen empathisch so zu unterstützen und für agile Methoden zu begeistern, so dass diese sich für den Change leichter öffnen können. Schwerpunkte der Arbeit liegen in der Teamentwicklung, Kommunikation und Stärkung der Resilienz.



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